Bauhaus
Das Bauhaus steht heute — 100 Jahre nach seiner Gründung — für weit mehr als die Schule in Weimar, Dessau und Berlin. Es ist ein Synonym für zeitloses und klares Design, das seine Schönheit in der Reduktion auf Form, Funktion und Material zeigt. Die Idee auf alles Unnötige zu verzichten und damit Ressourcen zu schonen, scheint heute aktueller denn je und auch sonst bleiben viele Ideen zukunftsweisend. Befreit von allem Überflüssigen sind so viele Möbel im Sinne des Bauhauses entstanden — vor, während und nach dem Bauhaus und weit über Deutschland hinaus. Einen Einblick bietet die 2019 als Buch erschien Bauhaus-Hommage »Das Bauhaus in 100 Objekten« von minimum-Gründer Wilfried Lembert, die wir Ihnen in Teilen vorstellen.
Evolution der Reduktion
Walter Gropius, der erste Bauhausdirektor, vertrat die These, dass es keinen Bauhausstil gebe, um der Kreativität seiner Studierenden freien Lauf zu lassen. Wir dagegen verbinden mit diesem eine klare Vorstellung. Er ist für uns ein Synonym für die gelungene Reduktion auf das Wesentliche, für Gegenstände, die nach geometrischen Grundformen konzipiert sind. Die Tendenz zur Reduktion war nicht neu. Sie begann bereits in Jugendstil, Art déco und im Wiener Secessionsstil. Die Vertreterinnen und Vertreter dieser Stilrichtungen sahen sich als Rebellen, die mit einer pompösen Vergangenheit brachen, die Stile willkürlich mischte. Mit den Blüten des Jugendstils und den Ornamenten des Art déco begann die moderne Evolution der Reduktion, die in den Kreisen, Dreiecken und Quadraten des Bauhauses mündete. Am Anfang unseres Buches »Das Bauhaus in 100 Objekten«, das zum 100. Bauhaus-Jubiläum im Jahr 2019 erschienen ist, steht deshalb ein Gegenstand, der sich auf der Schwelle zum Bauhausstil befindet. Dass er aus Metall besteht, verweist schon auf die Maschinenästhetik, die die Bauhäusler so begeisterte.Bauhaus-Manifest
Weimar, April 1919
»Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau! Ihn zu schmücken war einst die vornehmste Aufgabe der bildenden Künste, sie waren unablösliche Bestandteile der großen Baukunst. Heute stehen sie in selbstgenügsamer Eigenheit, aus der sie erst wieder erlöst werden können durch bewußtes Mit- und Ineinanderwirken aller Werkleute untereinander. Architekten, Maler und Bildhauer müssen die vielgliedrige Gestalt des Baues in seiner Gesamtheit und in seinen Teilen wieder kennen und begreifen lernen, dann werden sich von selbst ihre Werke wieder mit architektonischem Geiste füllen, den sie in der Salonkunst verloren. Die alten Kunstschulen vermochten diese Einheit nicht zu erzeugen, wie sollten sie auch, da Kunst nicht lehrbar ist. Sie müssen wieder in der Werkstatt aufgehen. Diese nur zeichnende und malende Welt der Musterzeichner und Kunstgewerbler muß endlich wieder eine bauende werden. Wenn der junge Mensch, der Liebe zur bildnerischen Tätigkeit in sich verspürt, wieder wie einst seine Bahn damit beginnt, ein Handwerk zu erlernen, so bleibt der unproduktive »Künstler« künftig nicht mehr zu unvollkommener Kunstübung verdammt, denn seine Fertigkeit bleibt nun dem Handwerk erhalten, wo er Vortreffliches zu leisten vermag. Architekten, Bildhauer, Maler, wir alle müssen zum Handwerk zurück! Denn es gibt keine »Kunst von Beruf«. Es gibt keinen Wesensunterschied zwischen dem Künstler und dem Handwerker. Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers. Gnade des Himmels läßt in seltenen Lichtmomenten, die jenseits seines Wollens stehen, unbewußt Kunst aus dem Werk seiner Hand erblühen, die Grundlage des Werkmäßigen aber ist unerläßlich für jeden Künstler. Dort ist der Urquell des schöpferischen Gestaltens. Bilden wir also eine neue Zunft der Handwerker ohne die klassentrennende Anmaßung, die eine hochmütige Mauer zwischen Handwerkern und Künstlern errichten wollte! Wollen, erdenken, erschaffen wir gemeinsam den neuen Bau der Zukunft, der alles in einer Gestalt sein wird: Architektur und Plastik und Malerei, der aus Millionen Händen der Handwerker einst gen Himmel steigen wird als kristallenes Sinnbild eines neuen kommenden Glaubens.«»Bauen bedeutet Gestalten von Lebensvorgängen«
Walter Gropius
Zum Bauhaus-Jubiläum hat der minimum-Gründer und frühere Dozent an der »Bauhaus-Uni« Dessau, Wilfried Lembert, immer noch erhältliche Möbel, Einrichtungsgegenstände und Accessoires so zusammengestellt und präsentiert, dass man sie am liebsten haben möchte. Sie zeigen, was während 14 Jahren Bauhaus geschaffen wurde – und was parallel dazu und danach im In- und Ausland mit einem ähnlichen Anspruch an Form, Funktion, Material und Reduktion entstand. Und die ausgestellten Objekte erzählen vor allem eins: Designgeschichte. Das Buch »Das Bauhaus in 100 Objekten« ist im Braus Verlag erschienen.
Neue Möbel aus der Weimarer Republik
In den Werkstätten waren Lehre und Forschung, Theorie und Praxis eng miteinander verknüpft. Geleitet wurde jede Werkstatt von einem Formmeister, der von einem Werkmeister unterstützt wurde. Der Werkmeister war ein Handwerker, der für die handwerklich-technischen Aspekte verantwortlich war. In der Weimarer Anfangszeit der Tischlerei entstanden zunächst Einzelstücke, später Kleinserien. Zu verstehen, wie Materialien und Techniken funktionieren, machte Sinn, doch im Hinblick auf die Möglichkeiten der industriellen Produktion erwies es sich als unzeitgemäß, handwerklich-konzeptionelle Ressourcen einzusetzen, um Dinge zu vervielfältigen. Daher wurde die Werkstatt zunehmend zu einem Ort des Experiments und der Entwicklung von Prototypen. Nach dem Umzug 1925 nach Dessau kooperierte die Tischlerei schließlich mit der Industrie, insbesondere zur Herstellung der berühmten Stahlrohrmöbel. Die neuen Möbelformen, die entwickelt wurden, sollten auf den Alltag der Menschen zurückwirken. Die von allem Ballast befreiten Formen, sollten material- und kostensparend hergestellt werden können. Jeder sollte sich die neuen Möbel leisten können. Das klappte eher selten. Gleichzeitig stellte man sich vor, dass funktionale Formen, die nicht durch überflüssiges Beiwerk verunklart werden, auch den Kopf befreien und ihn für neue, progressive Ideen empfänglich machen. Durch den Gebrauch der neuen Formen sollte die Kunst im Leben verankert werden.
Stahlrohr ein Industriematerial erobert den Möbelbau
Das Bauhaus strebte nach einer Einheit von Kunst und Leben. Es musste sich der Frage stellen, wie diese Verbindung im industriellen Zeitalter denkbar war. Begünstigt durch den Einfluss des russischen Konstruktivismus und der niederländischen Künstlerbewegung De Stijl rückte die Maschine als formgebendes Werkzeug und als Mittel künstlerischer Gestaltung in den Fokus. Die Maschinenästhetik wurde zum Inbegriff des Fortschritts und brachte ein neues Material in den Möbelbau des Bauhauses: Stahlrohr. Die Idee war, dass es sich wie Holz biegen ließe. Es folgten Experimente in Kooperation mit den Junkers Flugzeug- und Motorenwerken in Dessau. Stahlrohr lud dazu ein, neue Formen zu finden. In der industriellen Produktion war es bewährt, dazu leicht und nahezu unzerstörbar. In die damaligen Wohnwelten hielt es jedoch nur langsam Einzug. Für die meisten war die Zeit noch nicht reif für die neue Ästhetik und auch in der Herstellung waren die neuen Möbel nicht so günstig wie erhofft. Inzwischen sind ihre Qualität und Ästhetik anerkannt. Sie gehören zu den berühmtesten Objekten, die am Bauhaus entstanden sind.
Entwerfen für das neue Wohnen
Auf der Höhe der Entwicklung: Weißenhofsiedlung und Neues Frankfurt
Neues Bauen! Unter dem Begriff, den der Architekt Erwin Anton Gutkind prägte, entstanden in der Weimarer Republik umfangreiche Wohnungsbauprogramme. Nach dem Ersten Weltkrieg war die Wohnungsnot groß, besonders in den städtischen Zentren. Es waren die besten Architekten der Zeit, die sich in der Verantwortung sahen, hier Abhilfe zu schaffen. Ihre Motivation, Neues und Besseres zu realisieren, kompensierte oft den Mangel an Zeit und Geld. Das Bauen wurde rationalisiert, indem man Abläufe vereinfachte und Bauelemente standardisierte. Simpler und funktionaler zu bauen, hieß auch auf Lebensqualität zu achten. Licht, Luft und Grün wurden zu grundlegenden Kriterien. Statt prunkvolle Fassaden zu errichten, hinter denen sich das Elend der Mietskasernen verbarg, fasste man den zu planenden Raum als Gesamtheit auf. Fragen der Produktion, der Ästhetik und des Sozialen wurden zusammen gedacht. Selbst das Interieur sollte auf der Höhe der neuen Entwicklung sein, weshalb namhafte Architekten auch passende Wohngegenstände entwarfen. Zu den wichtigsten Projekten des Neuen Bauens zählen die Stuttgarter Weißenhofsiedlung, das Bauhaus und das Neue Frankfurt. Für sie sind zahlreiche Möbel entstanden, die sich den Rang zeitloser Designklassiker erobert haben.
Leuchten und Accessoires aus der Dessauer Metallwerkstatt
Am Weimarer Bauhaus lag der Fokus der Metallwerkstatt noch auf der Gold- und Silberschmiedekunst, doch schon 1923 brachte László Moholy-Nagy frischen Wind in die Werkstatt. Sein konstruktivistischer Ansatz begeisterte die Studierenden und ermöglichte ihnen, sich die programmatische Synthese aus Technik und Kunst vorzustellen. Nach dem Umzug nach Dessau stellte die Metallwerkstatt Leuchten für das neue Schulgebäude her und ein kleiner Produktivbetrieb wurde eingerichtet. Nach und nach verlagerte sich der Fokus vom kunstvollen Einzelstück auf Prototypen für die Industrie, zumal die Schule Geld benötigte. So wurden Kooperationsverträge mit den Leuchtenherstellern Schwintzer & Gräff in Berlin und Körting & Mathiesen (Kandem) in Leipzig abgeschlossen. Vom Ideal einer umfassenden handwerklichen Ausbildung rückte man jedoch nicht ab. Aus der Arbeit in der Metallwerkstatt sind herausragende Leuchten und Metallobjekte hervorgegangen. Die dort entwickelte Ästhetik spiegelt sich auch in Leuchten, die außerhalb des Bauhauses oder später entstanden sind.
Schnörkellos wohnen: Form und Funktion für den Tisch und moderne Dekorationsobjekte
Sich vom Überflüssigen zu befreien, hieß für die Rebellen der Neuen Sachlichkeit nicht, auf schöne Dinge zu verzichten. Für das Neue Wohnen waren Gebrauchsgegenstände für Küche und Tisch ebenso gefragt wie Dekoratives für ein gutes Wohngefühl. Nur sollte alles den neuen Anforderungen an Ästhetik und Herstellung entsprechen. Für die kleinen Dinge des Wohnens spielte auch die Töpferei eine bedeutende Rolle. Als erste der Bauhauswerkstätten gegründet, befand sie sich nicht in Weimar, sondern in Dornburg. Dort existierte bereits eine Traditionstöpferei, es standen Räumlichkeiten zur Verfügung und mit Max Krehan ein versierter Keramiker, der die Rolle des Werkmeisters übernehmen konnte. Formmeister wurde der Bildhauer und Grafiker Gerhard Marcks. 1923 ging die Töpferei von der Produktion an der Drehscheibe zur rationelleren Gusskeramik über. Das entsprach dem Ziel, auch hier Prototypen für die Industrie zu entwickeln. Als Teil des Bauhauses existierte die Töpferei nur fünf Jahre, entwickelte in dieser Zeit jedoch eine völlig neue Ästhetik, die auch Traditionsunternehmen wie die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin oder die Porzellanmanufaktur Fürstenberg beeindruckte und auf der Stuttgarter Werkbundausstellung 1924 für Aufsehen sorgte. Die Bauhaustöpferei unterhielt vielfältige Beziehungen zu Steingut- und Porzellanfabriken. Theodor Boglers Obstschale ist ein schönes Beispiel dieser Zusammenarbeit.
Von der Rolle: die Tapete als erfolgreichstes Bauhausprodukt
Die Bauhauswerkstatt für Wandmalerei fristete lange ein Schattendasein. Das änderte sich schlagartig, als das Familienunternehmen Rasch den Entwurf von Tapeten anregte. 1929 gelangten die ersten auf den Markt, kaum ein Jahr später explodierte die Nachfrage. Zur Zeit des »Tapetenbooms« hatte der Architekt Hannes Meyer das Amt des Direktors am Bauhaus inne. Meyer erstrebte eine radikalere Umsetzung der Idee, günstige Industrieprodukte mit moderner Ästhetik zu entwickeln. Der Einsatz und Vertrieb der Tapeten war eng mit dem Siedlungsbau verbunden. Zeitgenössische Anzeigen warben damit, dass sie »rationeller als anstrich« seien. Die sogenannte Bauhaustapete wurde zum einträglichsten Produkt der sich in Geldnot befindenden Schule. Bis 1933 wurden sechs Millionen Tapetenrollen verkauft!
Ausdrucksstarke Texturen: die Bauhausweberei
Während die Bauhaus-Männer mit Stahlrohr experimentierten, sollten die Frauen Fleiß und Geduld im textilen Kunsthandwerk beweisen. Die Weberei galt nach ihrer Zusammenlegung mit der Textilklasse 1920 als »Frauenwerkstatt«. Dabei hatte Walter Gropius die Schule gleichermaßen für Frauen und Männer geöffnet. Das entsprach Gropius’ Weitsicht ebenso wie den Zeichen der Zeit, ging aber nach hinten los. Der Andrang begabter Frauen war groß. Anfangs schrieben sich mehr weibliche als männliche Studierende ein. Studenten und Meister begannen um ihre Werkstattplätze und Stellen zu bangen und nach außen wuchs der ohnehin große Rechtfertigungsdruck auf die Schule, die dem konservativen Weimar gefährlich libertär erschien. Man ruderte zurück. Werkstattmeister sprachen sich zum Schutze der Werkstätten und der Frauen selbst gegen Studentinnen aus. Wer nicht zurückruderte, waren die Frauen. Einer Reihe von Künstlerinnen gelang es, den Widerständen zum Trotz, Herausragendes in Werkstätten zu leisten, für die man sie als ungeeignet betrachtete. In der Weberei wurde die Farb- und Formenlehre der Schule auf Textilien übertragen und — anders als der Name vermuten lässt — eine Vielzahl textiler Techniken vermittelt und weiterentwickelt. Neben dem künstlerischen Einzelstück spielten industrielle Webtechniken eine bedeutende Rolle – für die Finanzen der Schule wie für die Materialforschung. Hier sei nur an das Eisengarn erinnert, das bei Marcel Breuers Stahlrohrmöbeln zum Einsatz kam. Gunta Stölzl, die 1927 als erste Frau Bauhausmeisterin wurde, legte besonders großen Wert auf technisches Know-how und eignete es sich wenn nötig selbst und auch außerhalb des Bauhauses an. In der Bauhausweberei entstanden industriell herstellbare Dekorationsstoffe, Wandbespannungen und Möbelbezugsstoffe. Die Schülerinnen wurden, ohne bei den künstlerisch-ästhetischen Aspekten der Ausbildung Abstriche zu machen, gezielt für die Entwurfs- und Programmarbeit in der Industrie herangebildet.
Kunst für die Wohnung: De Stijl
Als im Oktober 1917 in der niederländischen Stadt Leiden die Zeitschrift »De Stijl« gegründet wurde, war das Ziel kein geringeres, als in einer »spirituellen Gemeinschaft von Künstlern« einen »kollektiven Stil« zu schaffen, der objektiv und gegenstandslos europaweit Technologie und Kunst versöhne und mit einem neuen Schönheitsbewusstsein einer besseren Welt den Weg bahne. Zu den im Laufe der Zeit wechselnden Mitgliedern der Künstlergruppe gehörten Theo van Doesburg, Piet Mondrian, Gerrit Rietveld und Vilmos Huszár. Ihre Hauptinteressen galten Malerei und Architektur. Ästhetisch spiegelte sich der Anspruch von De Stijl in der Beschränkung auf Grund- und Nichtfarben, geometrische Grundformen, horizontale und vertikale Linien und elementare Gegensätze der bildnerischen Gestaltung wie waagerecht/senkrecht, groß/klein und hell/dunkel. Zwischen dem Bauhaus und der international orientierten Künstlergruppe der De Stijl-Bewegung, in der sich ästhetische Reduktion mit dem Interesse an einer Veränderung der sozialen Welt verband, gab es einen regen Austausch. Der lief nicht nur über Ausstellungen und Publikationen. De Stijl-Mitbegründer Theo van Doesburg gab persönlich am Weimarer Bauhaus beliebte Privatkurse über architektonische Gestaltung – und das zu einer Zeit, als am Bauhaus, dessen höchstes Ziel der Bau war, sonst noch keine Architekturkurse angeboten wurden. Nebenbei versuchte van Doesburg die Schule, die ihm noch nicht modern genug war, grundlegend umzukrempeln. Kein Wunder, dass Walter Gropius ihm eine Stelle aus Bauhausmeister verwehrte. Das Wirken des puristischen Funktionalismus von De Stijl war jedoch nicht aufzuhalten und ist selbst an der Bauhausarchitektur ablesbar: an den kubischen Formen von Gropius’ Direktorenzimmer wie an der Linienkomposition der Werkstätten des Dessauer Bauhausgebäudes, die von Piet Mondrians Kompositionen inspiriert ist. Unter dem Einfluss von De Stijl sind berühmte Einrichtungsgegenstände entstanden.
Esprit Nouveau: geistreiche Wohngegenstände aus Paris
Was in Dessau passierte, war in Paris kein Geheimnis. Ebenso aufmerksam verfolgten die Bauhäusler, was in Paris geschah, denn dort experimentierte man ebenfalls mit neuen Formen und Materialien. Neben den an beiden Orten entstandenen Einrichtungsgegenständen verdeutlichen schon wenige Hinweise, wie stark gegenseitiges Interesse und Austausch waren. Walter Gropius und Le Corbusier waren durch Freundschaft und kollegial-kontroverse Auseinandersetzungen verbunden. Noch bevor sie sich kennenlernten, abonnierte das Weimarer Bauhaus 1922 die Zeitschrift »L’Esprit Nouveau«, die, von Le Corbusier mitbegründet, sich progressiver Architektur und Malerei widmete. Ein Jahr später erschien darin eine Rezension des Bauhauskataloges von 1923. Walter Gropius verfasste andernorts einen Artikel mit dem Titel »Wohnmaschine« und griff dabei auf ein Konzept Le Corbusiers zurück. Die Beziehungen zwischen der in der Weimarer Republik und der in Frankreich aktiven Avantgarde zeigen sich auch an den beiden Häusern, mit denen Le Corbusiers Architekturbüro zur Bauausstellung des Deutschen Werkbunds 1927 in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung beitrug. Doch zurück nach Paris. Dort gründeten 1922 die Cousins Le Corbusier und Pierre Jeanneret ein erfolgreiches Architekturbüro. Besonderen Auftrieb bekam es, als die Architektin Charlotte Perriand dort eintrat. Sie wurde Hauptverantwortliche für die Möbelentwürfe des Büros, weil sie sich am besten mit zeitgenössischen Technologien auskannte. Perriand, die schon länger eine Mitarbeit in dem renommierten Büro angestrebt hatte, beeindruckte Le Corbusier 1927 auf dem Pariser Herbstsalon mit einer superschicken Bar, für die sie mit Metall nicht gegeizt hatte. Die im Architekturbüro Le Corbusiers entwickelten Möbel sind Weiterentwicklungen archetypischer Gegenstände, deren Form sich von grundlegenden Bedürfnissen wie Liegen oder Sitzen ableitet. Die direkte Entsprechung zwischen Funktion und Form verleiht ihnen Zeichenhaftigkeit. Ebenfalls in Paris, aber einzelgängerisch, arbeitete eine weitere Grande Dame der Architektur und des Designs: Eileen Gray, deren ungewöhnliche Möbelentwürfe auf ihre Art die Wechselwirkungen zwischen den wichtigsten Schauplätzen des neuen Entwerfens bezeugen.»Metall spielt beim Möbel die gleiche Rolle, die Zement in der Architektur gespielt hat. Es ist eine Revolution.«
Charlotte Perriand
Möbel aus der Fabrik: Jean Prouvé
Jean Prouvé, Konstrukteur, Architekt, Industrieller, Möbeldesigner, Lehrer – und zeitweilig sogar Bürgermeister von Nancy – bezeichnete sich immer bescheiden als »Mann der Fabrik«. Der ausgebildete Kunstschmied gehörte zu den Gründungsmitgliedern der 1929 ins Leben gerufenen Union des artistes modernes, eines Zusammenschlusses von Kunsthandwerkern und Architekten, der vergleichbare Ziele wie der Deutsche Werkbund verfolgte. Auch Prouvé ging es um eine Neubestimmung des Verhältnisses von Technik und Handwerk, Kunst und Massenproduktion. Er erforschte es auf seine Weise. In eigenen Werkstätten und später in seiner Fabrik in Maxéville bei Nancy entwickelte er Möbel gemeinschaftlich mit seinen Arbeitern. Dort wurde jeweils so lange experimentiert und getestet, bis ein Gegenstand perfekt war. Perfekt heißt mit klugem, sparsamen Materialeinsatz, bis ins Detail durchdacht und rationell in Serie produzierbar. Prouvé berücksichtigte im Entwurfsprozess industrielle Fertigungstechniken von Anfang an. Seine Möbel sollten ihre Konstruktion stolz zeigen, ihre Statik den Nutzerinnen und Nutzern verständlich sein. Einzigartig an den Entwürfen Prouvés ist jedoch auch eine Ästhetik, die ihre Herkunft aus der Fabrik zeigt und gleichzeitig poetisch verwandelt. Sie vermitteln einen Fortschrittsoptimismus, der auf einer soliden Ethik fußt.
Menschliche Moderne: die Enwürfe der Aaltos
Aino Marsio-Aalto und Alvar Aalto gehören zu den bedeutendsten Architekten- und Designerehepaaren der Moderne. Die Aaltos, die führende Vertreter ihres Faches wie Le Corbusier, Walter Gropius und Lásló Moholy-Nagy auch persönlich kannten, entwickelten in Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Positionen in Architektur und Design eine ganz eigene ästhetische Antwort auf die Fragen der Zeit. Zu ihren wichtigsten frühen Bauwerken gehört das ehemalige Tuberkulosesanatorium in der finnischen Stadt Paimio. Der Bau ist nicht nur deshalb erwähnenswert, weil er als Gesamtkunstwerk und wichtiges Beispiel für den sogenannten organischen Stil der Aaltos gilt und auf der Kandidatenliste für das UNESCO Welterbe steht. Er ist ein interessantes Exempel für den Einfluss der Lungentuberkulosesanatorien auf den modernen Wohnbau und schließlich auch auf die Gestaltung völlig neuer Wohngegenstände. Nicht nur ästhetische, kunsttheoretische, soziale und politische Überlegungen hatten zur Forderung von Transparenz, einer Ästhetik des Weglassens, zu reduzierten, glatten und leicht zu reinigenden Oberflächen in Architektur und Design geführt, sondern auch Erkenntnisse im Bereich der Hygiene. Die Übertragung hygienischer Anforderungen auf ästhetische Fragestellungen wurde bereits von Hermann Muthesius reflektiert. Was die ästhetische Position der Aaltos so bemerkenswert macht, ist jedoch nicht der Zusammenhang von Gesundheit und Ästhetik im Allgemeinen. Der Funktionalitätsbegriff der Aaltos ging über den ihrer Zeitgenossen hinaus. Sie forderten eine Orientierung von Architektur und Design an menschlichen Bedürfnissen, die sich mit einem vor allem technisch verstandenen Funktionalismus kritisch auseinandersetzt und den Menschen als Ganzes, also auch mit seinen seelischen Bedürfnissen betrachtet. Was sie darunter verstanden, zeigten sie in Paimio bis ins kleinste Detail. Obwohl sie die Arbeit ihrer Kollegen schätzten und Stahlrohrmöbel in einigen ihrer Interieurprojekte einsetzten, war es nicht ihr Material. Alvar Aalto befand Stahl- und Chromoberflächen zwar aus technischer und konstruktiver Sicht überzeugend und sah ihre Eignung für die Massenproduktion, war aber von ihrem Einsatz in Wohnräumen nicht vollends überzeugt. Daher arbeiteten die Aaltos lieber mit Holz und Laminat und leisteten, was deren Biegetechniken angeht, einen wichtigen Beitrag zur Materialforschung.»Der Versuch, den menschlichen Faktor auszuschließen, ist ein Zeichen von Hilflosigkeit.«
Alvar Aalto