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Home Spaces — Die Zukunft des Wohnens in vier Lebenswelten

14.02.2022
minimum-Gründer Wilfried Lembert über Wohnungen als Energiezentren, »Dritte Orte« als aktiver Bestandteil des Wohnens, eine neue Sicht auf das »Wo wir leben möchten« seit der Pandemie und die Frage, ob die Wohnung der Zukunft noch aus Zimmern besteht?

for better living

Vor einigen Jahren begannen wir zusammen mit der Immobilien-Markenagentur TPA unter dem Titel »for better living« mit einer Studie zur Zukunft des urbanen Wohnens. Dabei orientierten wir uns an 17 globalen Megatrends, die zu diesem Zeitpunkt die zu erwartenden Veränderungen der Gesellschaft beschreiben. Über ein Bewertungsmodell filterten wir die neun Megatrends heraus, die aus unserer Sicht für Metropolen in Deutschland relevant sein werden. Diese neun für uns wesentlichen Trends lassen sich in drei Lebenswelten abbilden, die wir Ihnen hier vorstellen möchten. Sie sind Ideengeber und Grundlage für Projekte in Berlin und
Basis für die Gestaltung von Wohnformen durch mintdesign und minimum. Ergänzt werden diese Lebenswelten durch Rückschlüsse, die sich aus dem Lebens- und Arbeitsverhalten während der Pandemie
ziehen lassen und die wir in einer vierten Lebenswelt vorstellen.

Balance City

Blick-aus-dem-FRIZZ23-auf-den-Besselpark

Das Grüne im Blick: Lebensqualität auch vor der Haustüre

Wo Nachhaltigkeit nicht nur zitiert, sondern sich in verantwortungsvollem Handeln manifestiert, entstehen Stadtlandschaften von außergewöhnlicher Lebensqualität: Balance Cities. Diese Quartiere sind Ausdruck eines gewachsenen Gesundheitsbewusstsein, einer Sehnsucht nach Authentizität. Umwelt, Infrastruktur und Technologie verschmelzen miteinander. Smarte Technologien dienen dazu, das Alltagsleben der Menschen
zu vereinfachen und umweltbewusste Lösungen zu schaffen. Die Wohnung wird zum Energiezentrum.
Die Menschen wollen grün leben, aber nicht zwangsläufig im Grünen. Sie wollen die Lebendigkeit und Inspiration der Großstadt spüren, gleichwohl auch Ruhe finden. Wohnungen, modern und ökologisch korrekt eingerichtet, werden zu Lebensräumen, in denen man sich wohl und gesund fühlt. Nichts stört, Ausgeglichenheit und Wohlgefühl stehen an erster Stelle, Der Wandel zum natürlichen Wohnen ist in vollem Gange. Passivbauten,
energieeffiziente Technologien oder begrünte Dächer sind für die meist zu den Besserverdiener:innen gehörende Gruppe selbstverständlich. Nähe, Herkunft und Nachvollziehbarkeit rücken in den Vordergrund. Man will wissen,
wo die Dinge herkommen und wer sie produziert hat. Internetplattformen wie Etsy (eine Plattform für Selbstgemachtes), haben Millionen Mitglieder:innen. Auch das Handwerk profitiert vom Wandel. Die Betriebe sind über Monate ausgebucht. Der Wert der Ursprünglichkeit. Die perfekte Industriegesellschaft ruft in uns den Wunsch nach dem Nicht-Perfekten, Echten, Wahrhaften hervor. Wir möchten den natürlichen Prozess sehen und nachempfinden können, zumindest visuell und haptisch. Deshalb suchen wir nach dem Einfachen, Unregelmäßigen und Unvollkommenen, Die Betonstruktur eines Gebäudes muss nicht mehr verputzt werden. Wir wollen die Konstruktion lesen können. Wo in den letzten Jahren Äste in der Tischplatte als Fehler zu Reklamationen führten, sind sie heute Merkmal der Ursprünglichkeit und des Lebensprozesses

Ein weiterer Trend: die Rückbesinnung auf Möbelklassiker. Weniger ist mehr, vererben statt wegwerfen wird möglich, da die Qualität dies zulässt. Monocle entwarf 2009 den Perfect City Block als Ideal einer nachhaltigen Urbanität. Urbanität bedeutet kurze Wege, deshalb funktioniert das Wohnquartier wie ein in sich geschlossenes Ökosystem, mit gemeinschaftlichen Gemüsegärten auf den Dächern, Energie erzeugenden Wind- und Solarsystemen und einem Hof, dessen Topologie Orte des Rückzugs und des Miteinanders schafft. Lokaler Einzelhandel und Kleingewerbe auf der Straßenebene versorgen die Bewohner:innen mit den Dingen des täglichen Lebens. Sport und Freizeitangebote sowie jede Menge Grün sorgen für Erholung und Gesundheit.

 FRIZZ23-Aussenansicht

Preisverdächtig: Unser Bauprojekt FRIZZ23 in Berlin Kreuzberg erhielt den Städtebaupreis 2021. 


In Berlin beteiligten wir uns im Baugruppenprojekt FRIZZ23, das Bestandteil der Bebauung rund um den Blumengroßmarkt ist. Für das Gesamtkonzept erhielten die Beteiligten den Deutschen Städtebaupreis 2021 —unser Beitrag zur Balance City.

Small world network

 Microapartment-fiftysix

Marmor meets Samt: Ein individueller Material-Mix erweckt Räume zum Leben. Mit einem guten Lichtkonzept wirken sie außerdem größer.

Urbane Wohnqualität wird nicht mehr in selbst bewohnten Quadratmetern bemessen. Verfügbarkeit und Zugang statt Besitz. Es geht kaum noch um große, mit allen Funktionsräumen ausgestattete Wohnungen. Stattdessen werden Wohnfunktionen aus den eigenen vier Wänden in kommunikative Small-World-Networks ausgelagert. Hier werden „Dritte Orte" zu aktiven Bestandteilen des Wohnens: Sie sind Orte der Arbeit, der Erholung und der Gemeinschaft. Das Prinzip des Cloud Computing dringt auch ins Leben und Wohnen vor. Das Schlagwort lautet: Outsourcing. Wohnfunktionen, die nicht täglich nötig sind, werden ausgelagert. Öffentliche, gemeinsam nutzbare Orte entstehen dort, wo Funktionalität geteilt wird. Neben dem eigenen Wohnraum wird das Stadtviertel zur eigentlichen Wohnung Dritte Orte bieten attraktive Gestaltungsräume, die sich in den flexiblen Alltag des urbanen Individualisten einflechten. Der halböffentliche Raum wird zum persönlichen Lebensraum. Der Erfolg der Coffee Shop Kette Starbucks beruht auf genau diesem Wandel, indem sich ein privates Wohngefühl längst nicht mehr nur in den eigenen vier Wänden einstellt. Wohnzimmerartige Salons wie das Soho House oder unzählige CoWorking-Spaces sind inzwischen inspirierende Dritte Orte des eigenen Wohn-Netzwerks. Die eigentliche Wohnung reduziert sich auf wesentliche Funktionen.

Open plan living

Franz-siche-Str-Esszimmer-Blick-ins-Wohnzimmer

Die Kombination aus einem extra angefertigten Spiegel und den Leuchten von Bocci bewirken eine optische Vergrößerung des Raums und verstärkt den Eindruck von Großzügigkeit. 
 

Wird die Wohnung der Zukunft noch aus Zimmern bestehen? Vieles spricht dafür, dass Menschen zukünftig innerhalb von Metropolen weniger umziehen werden. Da in jedem Lebensalter Immobilien gekauft werden und dies meist eine einmalige Entscheidung ist, erwarten Käufer:innen heute maximale Flexibilität. Die Wohnung soll sich mit verändern, wenn Kinder dazu kommen oder ausziehen, wenn man sich trennt und stattdessen das Büro in die Wohnung zieht, plötzlich eine Patchworkfamilie zusammen wächst oder ein größerer Bedarf an Barrierefreiheit entsteht. „Offen bleiben für Veränderung" lautet das Lebensmotto vieler. Das, was wir uns schon lange für Büros wünschen, offene Raumstrukturen, organisiert durch Raummodule, die eine permanente Anpassung der Betriebsorganisation und Mitarbeiterwachstum zulassen, findet sich in Zukunft auch als Anforderung im Wohnen wieder. Open Plan Living war schon immer der Wunsch von Kreativen, die sich ein Umfeld für veränderte Lebenssituationen schaffen. Ohne feste Wände werden Funktionsbereiche oder Raummodule frei gestaltet und mit Möbeln als raumdefinierende Elemente variabel modifiziert. Je individueller bzw. situativer sich eine Wohnung oder Haus an die jeweiligen Bewohner.innen anpassen kann, um so besser. Aber auch im Kleinen wird es modularer. »Weniger Raum braucht nur mehr Ideen« propagiert Gary Chang, chinesischer Architekt und Spezialist für hochfunktionale Miniräume. Sein 32 qm Apartment ist ein modulares Multitalent. Ein ausgeklügeltes System von beweglichen Wänden ermöglicht 24 verschiedene Raumvarianten. Dabei ordnet der Architekt Flächen und Räume ihrer temporären Nutzung gemäß an. Es fällt schwer, noch zwischen Wänden und Möbeln zu unterscheiden. Sie sind so kombiniert, dass der Raum durch Schieben, Ziehen oder Heben an die aktuellen Bedürfnisse angepasst werden kann. Allerdings scheiden sich hier auch die Geister. Während Männer scheinbar keine Hemmung vor dem Schieben, Ziehen und Klappen haben, bevorzugen laut einer Studie von minimum Frauen eher Räume, die nicht mit Kraftaufwand bzw. am liebsten überhaupt nicht verändert werden müssen.

Remote living

MINIMUMHOUSE_Aussenansicht

Die Architektur läst das Drinnen und Draußen auf und bietet Erdung, die in der Stadt verloren geht. 
 

Pandemien bescheren uns eine neue Sicht auf das „Wo wir leben möchten", Die plötzliche Einschränkung unserer Bewegungsfreiheit verändert den Blick auf das Small World Network. Dritte Orte, die Funktionen unserer urbanen Wohnung abbilden, sind temporär nicht mehr zugänglich. Die Digitalisierung erlaubt virtuelle Begegnungen anstatt Meetings an realen Orten. Eine neue Erdung, der Drang nach Balanced Living auf dem Land, ersetzt den urbanen Lifestyle. Remote Work — überall arbeiten zu können — schafft die Möglichkeit einer neuen Lebensqualität. Fällt das tägliche Pendeln durch die Möglichkeit der Arbeit im Homeoffice weg oder müssen längere Wegstrecken zur Arbeit nur noch an wenigen Wochentagen in Kauf genommen werden, erlebt das Landleben mit vernünftiger öffentlicher infrastruktur einen Boom. Der eigene Garten, dörfliche Milieus mit guten Grundschulen, das Gefühl nicht eingesperrt zu sein, alles Gründe für eine Stadtflucht vor allem junger Familien. Ansgar Oberholz, der Co-Working-Pioneer, sieht einen Boom von Co-Working-Spaces auf dem Land. Dort wo mehrere Mitarbeiter:innen eines Unternehmens leben, werden die Unternehmen in Nachbarschafts-Working-Spaces Arbeitsplätze für eigene Teams zur Verfügung stellen. So bilden sich doch wieder neue Small World Networks - diesmal auf dem Land.